Motivations-Tipps, Kreuzbandrisse, Tarifwesen und Digitalisierung: In diesem Interview lässt uns Fabienne Büchi in ihren Alltag als Physiotherapeutin blicken und verrät uns ihre Sicht auf die Zukunft der Physiotherapie.
Erzähl uns bitte etwas über dich, Fabienne.
Gerne. Mein Name ist Fabienne, ich bin 31 Jahre alt und arbeite schon seit beinahe acht Jahren als Physiotherapeutin in Zürich. 2019 habe ich meinen Master of Science in Physiotherapie abgeschlossen mit dem Schwerpunkt Musculoskeletal, Innere Medizin und Neurologie. Als leidenschaftliche Sportlerin sammelte ich zwangsläufig Erfahrungen mit Verletzungen, was mich jedoch zur faszinierenden Welt der Medizin und letztlich zur Physiotherapie führte. Als Physiotherapeutin schätze ich es, direkt das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, was mir eine erfüllende Rolle in ihrem Genesungsprozess ermöglicht.
Wie sieht ein typischer Tag als Physiotherapeutin aus?
Normalerweise startet mein Tag mit etwas administrativer Arbeit. Ich setze mich an den Laptop, checke die E-Mails und verpasste Telefonanrufe und schaue, ob es offene Nachrichten gibt, die beantwortet werden müssen. Und dann kommt in der Regel schon der erste Patient. Ich starte mit den Behandlungen, und dann reiht sich ein Patient an den anderen. Zwischendurch dokumentiere ich, was in der Therapie gemacht wurde. Das geht dann so weiter - den ganzen Tag.
Wie viele Patienten behandelst du am Tag und wie viel Zeit hast du pro Patient?
An einem normalen Arbeitstag behandle ich durchschnittlich 15 Patienten. Damit wir alle Patienten und Patientinnen unterbringen können, kommt es aber häufig vor, dass es mehr als 15 am Tag sind. Zeit pro Patient habe ich 30 Minuten, das ist ziemlich luxuriös, wenn man bedenkt, dass eine Sitzung bei anderen Praxen in der Regel nur 20-25 Minuten dauert.
Wie ist es, als Physiotherapeutin in der Schweiz zu arbeiten und wie ist die aktuelle Lage im Gesundheitswesen?
Aus meiner Sicht sind Physiotherapeut*innen immer noch sehr gefragt, weshalb wir auch sehr gut ausgelastet sind. Man merkt in der Interaktion mit den Patienten, dass es eine relevante und wertvolle Arbeit ist, die wir leisten. Was allerdings etwas problematisch ist, ist der Fakt, dass sich immer weniger Menschen für eine Laufbahn als Physiotherapeut entscheiden und wir dadurch an einem Fachkräftemangel leiden. Man sieht leider schon auch, dass die Physiotherapie-Branche recht unter Druck steht. Viele Therapeuten können unter diesen Umständen gar nicht bis zur Pensionierung arbeiten, und viele arbeiten nur Teilzeit.
Etwas, was die Physio-Welt aktuell sehr beschäftigt, ist die Frage, wie es mit unserem Tarifwesen weitergeht und was die Politik mit unserem Beruf macht. Durch die Intervention des Bundesrates wird das Tarifsystem verschärft, was für Physiotherapeuten grosse Verluste bedeuten kann.
Ein ganz modernes Thema, das immer mehr aufkommt, ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen, welche langsam aber sicher auch uns Physiotherapeuten mehr betrifft und uns neue Chancen bietet.
Kleiner Themenwechsel: Was sind die häufigsten Krankheiten und Verletzungen deiner Patienten?
Ich betreue viele Kreuzband-Patienten, sprich Risse des Kreuzbandes und des Meniskus, die durch Unfälle entstanden sind. Schulterverletzungen kommen auch sehr häufig vor. Ein anderer grosser Anteil an Patienten ist von sehr komplexen Krankheitsbildern betroffen, sprich; hier handelt es sich nicht um typische Verletzungen oder Erkrankungen, sondern um chronifizierte Schmerzpatienten, welche dementsprechend eine komplexe Behandlung benötigen.
Machen deine Patienten die Übungen, die du ihnen in der Therapie zeigst, auch zuhause?
Schön wär’s (lacht). Nein, grundsätzlich machen die Patienten die Übungen schon, vor allem wenn der Leidensdruck gross genug ist. Die Gefahr besteht jedoch, dass sie nicht lange genug dran bleiben und dass die Motivation fehlt, um zuhause konsequent weiter zu trainieren.
Und welche Tipps und Tricks gibst du ihnen, um sie beim Erreichen ihrer Therapieziele zu unterstützen?
Ich probiere, ihnen Übungen mitzugeben, die für sie Sinn machen. Denn wenn man die Übung versteht, ist es viel einfacher, sie in den eigenen vier Wänden nach zu machen und ein Erfolgserlebnis beim Training zuhause zu haben. Das motiviert, sich weiterhin an den Plan zu halten.
Ein zweiter Trick ist es, die Übungen im Alltag schlau einzubauen. Als Beispiel: Man kann während dem Zähneputzen beispielsweise einen Einbeinstand üben, und so schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.
Nicht zuletzt ist es eine gute Idee, sich einen Timeslot in der Agenda einzuschreiben, welchen man sich fürs Training reserviert. Das dient nicht nur zur Erinnerung, sondern hilft auch, das Training zuhause mit mehr Verbindlichkeit zu sehen.
Kommen wir zur letzten Frage: Wo siehst du Physiotherapie in 5-10 Jahren?
Ich denke, das hängt zu grossen Teilen davon ab, wie sich die Gesellschaft in der Zukunft entwickeln wird, auch in Bezug auf die Politik im Gesundheitswesen und konkret der Physiotherapie. Ich persönlich hoffe - oder wünsche mir - dass wir als Physiotherapeuten den holistischen Ansatz nochmals deutlich ausweiten, dass wir auf diversen Ebenen mehr zusammenarbeiten.
Ich wünsche mir auch, dass wir vermehrt Hilfen aus der Digitalisierung nutzen, wie beispielsweise Softwares, die die Motivation von Patienten weiter unterstützen können. Wir Physios müssen das nicht alles alleine schaffen - vor allem in der heutigen Zeit, in der (technisch) alles möglich ist.